Frühkindlicher Spracherwerb |
"Sprache ist eine regelgeleitete Tätigkeit innerhalb eines sozialen Kontext."
Schon bei der Geburt besitzt ein Kind einige universelle Fähigkeiten, wie etwa die Unterscheidung von Tonhöhen und Phonemem (etwa 70). Gleich nach der Geburt beginnt die synaptische Vernetzung der vorhandenen Ressourcen durch rege kommunikative Interaktion unter Einbeziehung aller Sinne. (Für die Effizienz von Lernprozessen ist dabei nach aktuellem Stand der Neurowissenschaften nicht die Anzahl, sondern die Stärke der Vernetzungen ausschlaggebend.) Das Kind erhält grundlegende Informationen über seine akustische Umwelt und somit auch den Aufbau seiner Muttersprache. Regelmäßigkeiten aus den permanent wahrgenommenen Lautstrukturen der Muttersprache werden „herausgefiltert". Laute werden nach Häufigkeit und Ähnlichkeit gespeichert. Das Kind ist in der Lage, Assoziationen zwischen melodisch-rhythmischen Strukturen und kommunikativen Sprachfunktionen auf der Basis der „Babysprache" zu bilden und darauf zu reagieren. |
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Bald ist ein grundlegendes Lautinventar mit
unterschiedlichen Tonhöhenverlaufsfomen im
Sprachgedächtnis gespeichert. Das Kind weiß zunächst noch nichts von den Gegenständen seiner Umgebung. Es muß diese als „Erkenntniseinheiten" in seinem Gedächtnis speichern, damit sich später Wörter darauf beziehen können. Man nennt dies den Aufbau der Objektkonstanz. Ab circa dem 11. - 14. Monat bauen Kinder Beziehungen zwischen den Wörtern und der Gegenstandswelt auf und beginnen selbst mit der Wortbildung. Frühestens jetzt macht auch der Einsatz der ersten einfachen Bilderbücher Sinn. |
Wenn gegen Mitte des zweiten Lebensjahres einige
Objektbegriffe verankert sind, wird die Gegenstandswelt als
unabhängig vom Selbst und dem Wahrnehmungsraum erkannt. Es
erscheinen erste bedeutungsstabile Wort-Objekt-Zuordnungen,
die späteren Substantive; aus Aktionswörtern entstehen
erste Verben; das Kind beginnt, in elementaren Formen auf
räumlich-zeitlich nicht Präsentes zu verweisen; erste
„Ich-Verweise" mit Eigennamen erscheinen. Das Kind
initiiert nun auch verstärkt Dialoge und analysiert aufmerksam
die im Dialog gehörte Elternsprache. Grammatische
Strukturbildung, lautliche Präzisierungen und semantische
Beziehungen werden geübt und erlernt. Im Idealfall stimmen die Dialog-Bezugspersonen die Art und den Inhalt ihrer Kommunikation sehr fein auf das momentane Fassungsvermögen des Kindes ab und haben ein Gespür für die nächste Entwicklungsphase, in der ein feingefächertes Elementar-Wissen über die Welt, über den Aufbau der Muttersprache und über die Anwendung der Sprache im Dialog vermittelt wird. |
Gegen Ende des zweiten Lebensjahres beginnen Kinder, Ideen, Wünsche und Erlebnisse in Sätzen zu vermitteln. Die ersten grammatischen Morpheme (Flexive) und Funktionswörter erscheinen als satzbildende Elemente. Aber: Jemand, der in der Sprechsituation des Kindes nicht dabei war oder kein Vorwissen über den Inhalt der kindlichen Äußerung hat, kann oft noch nicht das Mitgeteilte verstehen. Die dirkten Bezugspersonen (meistens die Mütter) sind jedoch perfekte Kenner und deshalb wichtige Promotoren der kindlichen Sprachentwicklung. Mit etwa 2½ Jahren sind ersten grammatischen Kategorien (Subjekt, Prädikat) entwickelt. Die ersten Kasusflexive erscheinen (Besitzer-Markierung: „Anne's Buch"). Die Dialoge werden umfangreicher, die Themen vielfältiger. Jetzt sollten die kindlichen Kommunikationsinitiativen aufgegriffen und durch überwiegende Bestätigung und sparsam eingesetzte Korrekturen bestärkt werden. Ab dem 3. Lebensjahr hat das Kind die elementaren Grundstrukturen seiner Muttersprache erworben. Es spricht und versteht die Sprache im Rahmen seiner näheren Erfahrungswelt. Schwierige Lautbildungen in der Wortartikulation werden nun fast problemlos bewältigt. In Sätzen geformte Mitteilungen sind weitgehend verständlich, auch wenn der Kommunikationspartner kein Vorwissen vom Mitteilungsinhalt hat. Das Wissensbedürfnis des Kindes will im Dialog erfüllt werden. Seine „Werkzeuge" sind nun die Warum-Fragen. Die Entwicklung sprachlicher Formen und Gebrauchsweisen ist noch nicht abgeschlossen. Obwohl das Kind über einen grundlegenden lexikalischen und grammatischen Bestand seiner Muttersprache verfügt, muss es noch zahlreiche Mittel erwerben, um in verschiedensten Anforderungssituationen seiner Lebenswelt schnell und sicher z.B. Mitteilungen über Ereignisse und Erlebnisse zu formulieren. Dazu zählen u.a. lexikalische und grammatische Mittel für die Darstellung eines Ereignisses in der Vergangenheit und Zukunft, für die Wiedergabe einer Beziehung der Ursache, der Folge, des Zweckes und des Vergleiches durch den Gebrauch von Neben- und Passivsätzen. Der weitere Erwerb dieser Mittel ist jedoch nicht Selbstzweck, sondern er ergibt sich aus der Notwendigkeit, sich in der Kommunikation verständlich auszudrücken. Da die Sprache grundlegendes Mittel bei der Gestaltung der sozialen Beziehungen ist, müssen die Bezugspersonen das Kind auch beim Erlernen weiterer Regeln der Sprachanwendung unterstützen. Der weitere Sprach-Lernprozeß erstreckt sich bis in das Schulalter hinein (siehe "Sprachsozialisation im Vorschulalter") Im Laufe dieses Prozesses können Sie Ihr Kind wesentlich fördern: • Weisen Sie dem Kind eine Rolle im Gespräch
zu! |
• Sollten Sie in der unangenehmen Beobachter-Situation sein,
daß ein Kind in Ihrem Familien- oder Bekanntenkreis aufgrund
mangelnden Sprachvermögens der Eltern zu wenig gefördert
wird, haben Sie immerhin die Möglichkeit, bei Kontakt mit dem
Kind Ihre eigene, vielleicht elaboriertere Sprechkompetenz
einzubringen. Aber bitte seien Sie dabei sehr aufmerksam und vorsichtig: Wenn Sie den leiblichen Eltern dabei als besserwisserisch und deren Kompetenz in Frage stellend vorkommen, kann eine für das Kind abträgliche Aggression entstehen - die gleiche Besonnenheit ist natürlich auch in einem Gespräch mit den Eltern vonnöten, wenn Ihnen dies sinnvoll erscheint. • Und schenken Sie bei Gelegenheit ein gutes Kinderbuch! Bernd
Reimann/ erg. Werner Friebel
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Erfahren Sie mehr zu diesem Thema unter mutterspracherwerb.de
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