Lese- und
Literaturkompetenz



"Man muss den Kindern beibringen, daß man durch Sprache Dinge erleben kann, die unheimlich spannend sind".
Marcel Reich-Ranicki (ARD, 20.3.07)

Auf der Leipziger Buchmesse 2007 forderte die "Stiftung Lesen", Kinderbücher müssten finanziell gefördert werden, da viele Kinder erstmals in der Schule mit dem Medium Buch konfrontiert würden. Eine Untersuchung habe ergeben, dass zwei von drei Eltern ihren Kindern niemals vorläsen.
Daraus lässt sich schließen (entspricht auch meiner persönlichen Erfahrung), dass in finanzschwachen Familien am Buch zuerst gespart wird.
Doch die Forderung nach finanzieller Unterstützung (etwa billigerer Verkaufspreis) trifft m.E. nicht den Kern des Problems, da die Lesemotivation dadurch nicht unbedingt gefördert wird.
Es geht, wie Ranicki anklingen lässt, vielmehr darum, den subjektiven Erlebnisgehalt des Leseprozesses zu "coachen". Das Lesen eines guten Buches ist nicht nur der erzählerische Transport vergangener oder fiktionaler Geschehnisse, sondern immer auch ein Blick nach Innen.
   

Kein anderes Medium kann die gedankliche und emotionale Auseinandersetzung des subjektiven Ich mit den vielfältigen Aspekten und Wahlmöglichkeiten der Realität so intensiv herausfordern.
Da die Lese- und Literaturkompetenz mit den heutigen didaktischen Ansätzen nur unzureichend vermittelt wird, gilt es also, die Wertschätzung und Bedeutung der Lesefähigkeit im Rang der allgemeinen gesellschaftlichen Wertmaßstäbe zu fördern.
Völlig kontraproduktiv ist in diesem Zusammenhang die Mittelkürzung oder gar Schließung öffentlicher Bibliotheken - da ist die Forderung der "Stiftung Lesen" nach finanzieller Unterstützung höchst berechtigt und der Ausbau des Kinder- und Jugendbuch-Bereiches sowie dessen kostenlose Nutzung wäre ein wichtiger Schritt.

Der Erwerb grundlegender Lesekompetenz

Lesekompetenz (engl. literacy) ist die Fähigkeit, einzelne Wörter, Sätze und ganze Texte flüssig lesen und im Textzusammenhang verstehen zu können. Die Lesekompetenz gehört neben der Schreibkompetenz und dem Rechnen zu den Grundfertigkeiten, die bereits während der Grundschulzeit (m.E. sogar schon vorher) erworben und durch den Besuch weiterführender Schulen ausgebaut werden sollten.
Die Lesekompetenz hängt unter anderem von der Lesegeschwindigkeit und damit in hohem Maße von der Kurzspeicherkapazität der lesenden Person ab (vgl. auch Artikel "Chunking").
In den letzten Jahren sind Zweifel an der Lesekompetenz vieler Jugendlicher aufgekommen. Manche verlassen die Schule sogar nur mit rudimentären Lesekenntnissen und entwickeln sich dann allmählich zurück zu Analphabeten. Daher war die Überprüfung der Lesekompetenz auch Teil der internationalen Pisa-Studie, bei der die Lesekompetenz von Schülern verschiedener Schulsysteme untersucht wurde.
Die Lesekompetenz ist nicht zuletzt die Basis für den Erwerb zusätzlicher weiterer Kompetenzen, denn in vielen Fachbereichen müssen Kenntnisse z. B. in Fachbüchern "erlesen" werden. So kann man die Lesekompetenz wahrhaftig als eine der wichtigsten Schlüsselqualifikationen bezeichnen.


"Der kleine Prinz"

von Antoine de Saint-Exupèry
Rauch-Verlag, ab 8 Jahre
Die Lesekompetenz ist auch grundlegend für die Entwicklung der Internet-Kompetenz. Die Nutzung des Internets ist ohne ausreichende Lesefähigkeit schwerlich vorstellbar.

Was soll Literaturdidaktik leisten?

Prinzipiell geht es dabei um alle Formen der Vermittlung literarischer Texte und der Aneignung literarischer Kompetenzen im Rahmen institutionell organisierter Lehr- und Lernprozesse, z.B. im schulischen Literaturunterricht, aber auch an Hochschule- und Volkshochschulen. Dabei wird heute von einem weiten Textbegriff ausgegangen:
"Literatur" ist nicht nur die Erwachsenenliteratur und auch nicht nur die sog. Hochliteratur, so dass auch Genres und Formen der Kinder-, Jugend-, Unterhaltungs- und Trivialliteratur didaktisch reflektiert und methodisch aufbereitet werden. Literaturdidaktiker/-innen betrachten weiterhin "Literatur" als kulturelle Praxis in verschiedenen Medien und beziehen folglich auch Adaptionen und Transformationen in AV- und Computermedien in ihre Vermittlungskonzepte ein.
Insgesamt sollte Literaturdidaktik das Ziel haben, schulische und außerschulische Literaturvermittlung nachhaltig, abwechslungsreich und - im Sinn einer kompensatorischen Leseförderung - adressatenorientiert zu gestalten und damit zum kulturellen Lernen beizutragen.

Lesesituation und Lesemotivation

Wie bei jeder Frage nach Lehr- und Lernmethoden spielt auch beim Lesen die Lernsituation eine tragende Rolle. Die Lesesituation ist eine besondere Form der kommunikativen Situation und umfasst äußere und innere Bedingungen, die das Verhalten des Lesers beeinflussen.
Äußere Faktoren wie Beleuchtung, Temperatur, Bequemlichkeit und Geräuschpegel beeinflussen hauptsächlich die physischen Aspekte des Lesens, nehmen jedoch auch Einfluss auf die körperliche Befindlichkeit des Lesers.




"Die Schatzinsel"

von Robert L. Stevenson
Arena Verlag, 246 Seiten
ab 9 Jahre
Innere Faktoren wie Vorkenntnisse, Neugier, Lust und körperliche Befindlichkeit verstärken oder vermindern vor allem die Motivation des Lesers und tragen zum Grad des erworbenen Textverständnisses bei.
Der gleiche Text, in verschiedenen Lesesituationen gelesen, kann in einem Leser verschiedene Vorstellungen und Einstellungen hervorrufen.
Um eine gute Lernsituation zu erhalten, müssen äußere wie innere Rahmenbedingungen möglichst positiv gestaltet werden. Gute Raumausleuchtung und niedriger Geräuschpegel sind vergleichsweise leicht zu erreichen, die innere Einstellung des Lesers kann jedoch nicht ohne weiteres beeinflusst werden.
Die wichtigste Bedingung der Lesesituation ist die Lesemotivation. Die Motivation, also der Beweggrund, aus dem gelesen wird, beherrscht nahezu alle anderen Faktoren. Optimal ist eine intrinsische Motivation, die der Leser aus sich selbst heraus aufbaut und aufrecht erhält, und die ihn auch unter den widrigsten Umständen weiterlesen lässt.
Selbst moderne pädagogische Mittel erreichen in der Regel jedoch nur eine extrinsische Motivation, die von außen eingebracht bereits nach kurzer Zeit wieder abklingt.

Kulturelle Bedeutung

Die kulturelle Bedeutung des Lesens hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Früher galt die Lesefähigkeit als Luxusgut der gehobenen Gesellschaft, das insbesondere den Frauen vorenthalten wurde. Heute dagegen ist das Lesen eine der Grundsäulen des Informationsaustauschs zwischen Menschen und wird in vielen Lebensbereichen vorausgesetzt.

In Industriegesellschaften ist Lesen unabdingbar, um sich im Alltag zurechtzufinden: Preisschilder, Busfahrpläne und Mietverträge sind nur einige Beispiele für alltägliche Schriftstücke. Analphabeten, d. h. Menschen die weder Lesen noch Schreiben können, sehen sich deshalb mitunter bei einfachen Aufgaben mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Die Lesekompetenz gilt daher als Grundfähigkeit, über die nach vorherrschender Meinung jeder Mensch verfügen sollte. Lesen wird Kindern deshalb so früh wie möglich nahe gebracht. Hilfsprogramme zielen darauf ab, Analphabeten das Lesen beizubringen. Lesen gilt als Königsweg zur Bildung. Durch das Lesen von Sachtexten können umfassende theoretische Kenntnisse erworben werden, die direkt in die Praxis umgesetzt werden können. So kann Bildung auf verschiedensten Gebieten, von alltäglichen Dingen wie Kochen und Computerbedienung bis hin zu Wissenschaft und Kunst, gewonnen werden.
Nicht nur in der akademischen Welt nimmt Lesen daher einen hohen Stellenwert ein. Personen mit hohem Bildungsgrad nennt man entsprechend belesen. Ein wichtiger Teilaspekt des Lesens ist die Reflexion, also das Überdenken des Gelesenen. In Philosophie und Religion beispielsweise ist nicht nur das direkt vermittelte Wissen bedeutsam, sondern vor allem die Erkenntnisse, die der Leser durch Nachdenken über das Gelesene selbst gewinnt.


"Momo"

von Michael Ende
Thienemann, 304 Seiten
ab 9 Jahre

Geschichte des Lesens

Die Entwicklungsgeschichte des Lesens ist fast identisch mit der Geschichte der Schrift, denn Änderungen der Schrift wirkten und wirken sich immer auch auf das Lesen aus.
Als flüchtige Tätigkeit, die keinerlei greifbare Spuren hinterlässt, ist es nahezu unmöglich anzugeben, wie sich der Leseprozess in frühesten Zeiten vom heutigen Lesen unterscheidet. Rückschlüsse sind nur über Art und Inhalt erhaltener Textdokumente und der verwendeten Schriftsysteme möglich.
In der Zeit bis zum Mittelalter war die Lesefähigkeit nur sehr wenig verbreitet. Schreibmaterial war selten und teuer in der Herstellung und die oberen Gesellschaftsschichten beanspruchten die Lese- und Schreibfähigkeit als Privileg für sich. Die Vervielfältigung von Büchern erfolgte durch handschriftliches Kopieren in Klöstern, die auch das damals bekannte "Weltwissen" in ihren Bibliotheken beherbergten.
Es bestand eine Kultur des Vorlesens, in der Leser Analphabeten Texte laut vortrugen.
Wie wenig wichtig das Lesen damals war zeigt sich am Beispiel der Antike: Blinde lernten damals ganze Epen auswendig und rezitierten sie vor versammelter Menge; Nachrichten wurden nicht schriftlich, sondern von zuverlässigen Boten mündlich übermittelt.
In der frühen Neuzeit wurde mit Zunahme des wirtschaftlichen Handelns die schriftliche Kommunikation wesentlich: Handelsbücher, Jahreskalender und Marktverzeichnisse wollten geführt sein. Die damalige geistige Elite war nicht bereit, diese Aufgaben zu übernehmen, wodurch die Nachfrage nach einfachem Volk, das lesen konnte, in dieser Zeit stark anwuchs.
Doch selbst im 16. und 17. Jahrhundert noch - lange nach Erfindung des Buchdrucks - erfolgte die Wissensvermittlung überwiegend mündlich, während das Lesen nur in der Oberschicht und der gehobenen Mittelschicht verbreitet war.
Ab ca. 1700 stieg die Verbreitung religiöser Schriften an. Für die Mehrzahl der sozialen Schichten bestand der Lesestoff bis in das 18. Jahrhundert aus der Bibel, Flugschriften, Andachtsbüchern und Zeitungen. Die Menschen hatten damals nur wenige Bücher, die mehrmals gelesen oder vorgelesen wurden.
Trotz der Einschränkungen verdreifachte sich die Produktion der Bücher bis zum Jahr 1800. Zu dieser Zeit waren vermutlich 25% der Deutschen lesefähig.
Mit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert kam es zu einem Wandel der Lesesozialisation. Nun konnten auch Mitglieder großbürgerlicher Familien, Handwerker, Großbauern und gehobene Dienstboten lesen. Der Alltag auf dem Land ließ allerdings wenig Zeit für das Lesen.
Ab dem 18. Jahrhundert setzten sich auch Bildungsreformer für die "Demokratisierung des Lesens" ein. Lesen wurde nun für die breite Bevölkerungsschichten zugänglich. Als Lesestoff setzte sich die Zeitung durch. Bücher wurden zu dieser Zeit noch von Gelehrten für Gelehrten produziert, was sich unter anderem darin äußert, dass sie häufig noch in Latein verfasst waren.
1830 konnten schätzungsweise 40% der Deutschen lesen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbreitete sich durch die Aufklärung auch in den Unterschichten das Lesen. Die Schriftstücke waren allerdings nicht zur Unterhaltung gedacht, sondern vermittelten praktische Lebenshilfe.
Die Aufklärer wollten den Menschen vernünftiges Handeln und technisches Wissen nahe bringen. Neben religiösen Traktaten waren daher hauptsächlich handwerliche und praktische Ratgeber zugänglich. Offizielle Mitteilungen der Obrigkeit, Verordnungen, Gesetze und Gesuche wurden öffentlich ausgehängt, weil eine beite Anerkennung für die Landesfürsten unabdingbar war.
Dem Bürgertum war eine Profilierung gegenüber dem Adel wichtig, was es durch die Lesefähigkeit hervorheben wollte. Der Anteil lesefähiger Bürger wuchs bis 1870 auf 75% und betrug um 1900 etwa 90%.
Insbesondere die Frauen des Bürgertums entdeckten das Lesen für sich. Schon damals gab es Unterschiede des Lesestoffs zwischen den Geschlechtern. Die Frauen bevorzugten die Belletristik und Romanlektüre und die Männer Zeitungen, politische Sachbücher und Abenteuerromane.
Eben durch die Romanlektüre, die oftmals auch von Mädchen und Jungen gelesen wurden, kam es zu der "Lesesucht"-Debatte. Hiernach sollte der Lesestoff erst gestattet werden, wenn die Leser Kenntnisse der Welt und der Menschen erworben hatten. So versuchten die Verantwortlichen den jugendlichen Lesern die ernsthaften Lesestoffe erst nach ihrer Adoleszenz zugänglich zu machen.
Aus derartigen Überlegungen und Forderungen resultierte allmählich die Kinder- und Jugendliteratur, deren erste Werke im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts verfasst wurden. Die Kinder sollten durch diese Werke gelehrt und unterhalten werden. Die Väter der bürgerlichen Familie waren für den sachgemäßen Gebrauch der Bücher verantwortlich, denn die Frauen galten dem Mann gegenüber damals als geistig unterlegen.
Ab dem 19. Jahrhundert stand der gesellige Umgang mit Büchern im Vordergrund. Zu dieser Zeit bekamen Kinder der gehobenen Schichten Bücher um sich still zu beschäftigen. Die Auswahl der Bücher stand nun auch den Müttern offen. Der Unterhaltungsnutzen der Bücher rückte in den Vordergrund und das Lesen nahm einen beträchtlichen Teil der Freizeit ein.
Allerdings war schon damals triviale Literatur in den Kreisen der "Intelligenzia" verpönt und das Lesepublikum spaltete sich in kulturpolitische Lager auf.
In der Zeit von 1848 bis zum Ersten Weltkriege nahm diese Aufspaltung das Bild von getrennten Kulturen an. Für die oberen Schichten diente der Lesestoff zur Repräsentation. Das Hauptaugenmerk dieser Schichten lag auf den Klassikern und weniger auf aktuellen Werken. Der breiten Masse (Unterschichten und Kleinbürger) war die Unterhaltungsliteratur vorbehalten.
Doch durch die Massenproduktion ab ca. 1900 wurden auch für diese Schichten Werke der "höheren" Literatur erschwinglich. Die Unterschiede des Leseverhaltens zwischen dem Kleinbürgertum und dem Proletariat verschwommen, wohingegen die Unterschiede zwischen dem Groß- und Kleinbürgertum manifestiert wurden.
Im Kaiserreich erschloss sich nun allen Schichten der Bevölkerung die kulturelle Teilnahme. Die Zahl der Analphabeten sank. Für die Unterschicht waren allerdings die Bücher wenig erstrebenswert. Bei dieser Schicht war die Nachfrage nach Zeitschriften und Fortsetzungsheften besonders hoch. Dieser Bevölkerungsteil las gerne kurze übersichtliche Texte. Die gehobenen Familien führten die Kinder an ihre ersten Lesebücher heran. Für die Nachkommen der Unterschicht blieb der Zugang zu Büchern meist verwehrt. Sie konnten nur durch Vermittlung der Lehrer oder anderer Gönner in den Besitz von Büchern kommen.
Erstaunlicherweise war auch der Betrieb von Leihbibliotheken zeitweise in Dörfern untersagt.
In den gehobeneren Schichten setzte sich das stille Lesen durch. Der Inhalt des Gelesenen wurde häufig mit Gleichgesinnten in den "angesagten" Salons diskutiert.
In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden Radio und Kino und die Medienvielfalt begann anzuwachsen. Das Lesen büßte den neuen Medien gegenüber an Bedeutung ein.
Durch die 1933 stattfindende Zäsur wurde das Bildungsangebot politisch einseitig - politisch mißliebige, meist intellektuelle Bücher wurden von den Nationalsozialsten in öffentlichen Bücherverbrennungen massenhaft vernichtet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Nachfrage nach Büchern stark zu und viele Autoren setzten sich intensiv mit der jüngsten Vergangenheit auseinander.

Die heutige Situation

Verschwindet das Buch hinter dem Internet?
Im Gegenteil! Ausser einer kurzen Stagnation in den Jahren 2002/03 stieg der Buchabsatz in Deutschland seit Jahrzehnten kontinuierlich an. In den vergangenen Jahren trug dazu wesentlich der online-Vertriebshandel mit Umsatzsteigerungen von je weit über 10% bei. (Quelle: Börsenverein des deutschen Buchhandels e.V.)
Das ist auch einleuchtend, weil sich beide Medien nicht widersprechen, sondern ergänzen. Im WWW werden Informationen und Rezensionen über Buchneuerscheinungen schneller abrufbar, Titel können bequem frei Haus bestellt werden und gerade die oft verkürzte, schnell konsumierbare Themenbehandlung in Internetartikeln beruhen und verweisen implizit auf die ausführliche Darstellung des Printmediums.
Wer beide Medien unvoreingenommen betrachtet, wird kaum bestreiten, dass sie sich bei der Vertiefung von Selbstreflexionsprozessen und der Entwicklung von Interpretations- und Kommunikationsfähigkeit ähneln und gegenseitig unterstützen. Ein hochwertiges Computerspiel steht in seiner Komplexität einem guten Buch in Sachen Identifikation und Projektion des virtuellen Ich in einer fiktionalen Welt nicht nach; was im Buch die Hauptfiguren, im Theater die Schauspieler, sind im Computerspiel die Avatare.
Ein guter Lese-Coach wird also das Internet nicht verteufeln, sondern als Parallelmedium in seine Arbeit einbinden, zumal inzwischen auch viel gute Lernsoftware für den Deutschunterricht existiert.
Zwar zeigt das Beispiel der bisher wenig erfolgreichen E-Books, dass die haptischen Qualitäten von echten Büchern noch nicht ersetzbar sind, doch sollten sich alle Kulturvermittler und -schaffende darüber im Klaren sein, dass das Internet zunehmend Zugang zu den Texten des universellen Bildungskanons bietet und somit eine unverzichtbare Basis für eine weltweite Wissensdemokratisierung und kulturelle Entwicklung schafft - natürlich mit allen Gefahren der Indoktrination und Meinungsmanipulation wie jedes andere Medium.


Übrigens: Es läßt sich natürlich trefflich über den pädagogischen Sinn und Nutzwert der Harry-Potter-Bände streiten, aber das Argument, dadurch würde unter Kindern und Jugendlichen wieder mehr gelesen, ist schlichtweg falsch. Mehrere Umfragen bei Buchhändlern und Grossisten haben ergeben, dass der Gesamtabsatz an Jugendliteratur dadurch nicht erhöht, sondern nur verlagert wurde - die Autorenvielfalt auf den Nachtkästchen unserer Kinder also abnahm...
Werner Friebel/ kurze Wiki-Auszüge


  Vorab zwei Buch-Tipps für Schüler und Lehrer:
"Von Taugenichts bis Steppenwolf. Eine etwas andere Literaturgeschichte "
Warum täuschte Lessing bei der Premiere von Emilia Galotti Zahnweh vor? Weshalb musste Karl May immer wieder ins Gefängnis? Und wie wurde aus dem Schulversager Hermann Hesse der hochgeachtete Nobelpreisträger? Literatur ist Leben und ihre Geschichte voll von Überraschungen und Kuriositäten, vom Lebensglück und Lebensleid der Schriftsteller, von überschwänglichen Leidenschaften und seltsamen Marotten. Höchste Zeit also, unsere Dichter vom Sockel zu holen und vom Staub der Geschichte zu befreien.
Peter Braun erzählt von ebenso tragischen wie komischen, von skurrilen wie spannenden Episoden aus dem Dichteralltag und eröffnet damit auf unterhaltsame Weise den Zugang zu den bedeutendsten Werken der deutschsprachigen Literatur.
Das Buch ist nicht nur eine fesselnde Reise durch die literarischen Epochen der letzten zwei Jahrhunderte, sondern auch Anregung, die besprochenen Texte neu- und wiederzuentdecken.

Von Peter Braun, Bloomsbury, 224 S. (gebundene Ausgabe), € 14,90
"Einführung in die Verslehre"

Dem teilweise ungeliebten Thema "Lyrik im Deutschunterricht" kann man damit richtig auf den Leib rücken.
Von Altgriechischen Daktylen bis zu Moderner Lyrik wird Alles gut verständlich, spaßig geschrieben und umfassend dargestellt.
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Von Hans-Dieter Gelfert, Reclam, 192 S., € 4,60