Gruppenbildung |
"Gruppe ist ein soziales System, dessen
Sinnzusammenhang unmittelbar durch diffuse Mitgliederbeziehungen
sowie durch relative Dauerhaftigkeit bestimmt ist".
Friedhelm Neidhardt
Menschen handeln bzw. verhalten sich in einer Gruppe anders als allein, und obwohl es sehr viele unterschiedliche Arten von Gruppen gibt, ähneln sie sich doch in vielerlei psychosozialen Strukturen und Selbst-Organisationsabläufen, so daß für gutes Coaching ein Blick auf allgemein erscheinende Vorgänge bei der Bildung und Führung einer Gruppe lohnt. Sollten Sie Zeit und das Engagement haben, sich in dieses Thema zu vertiefen, empfehle ich die Lektüre zu Gruppendynamik und Gruppenphasenmodelle nach dem Sozialwissenschaftler und Gestaltpsychologen Kurt Lewin. Hier wollen wir uns erstmal einen kurzen Überblick verschaffen, was denn "abgeht", wenn Sie als Coach mit einer (Schüler-)Gruppe konfrontiert sind. |
Das "Wir-Gefühl"Mag auch das Gerede vom "Ersten Eindruck" in die Phrasenkiste gehören, haben Sie doch in dem Moment, wo Sie erstmals mit einer Gruppe/ Schulklasse konfrontiert sind, eine gute Chance, deren Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und die daraus resultierende Energie für das Erreichen eines gemeinsamen Zieles zu nutzen. Denn als "Fremder" erzeugen Sie in jeder noch so inhomogenen Gruppe ein "Wir-Gefühl" und können Vieles, was Sie hier unter NLP und Kommunikationsformen erfahren haben, auf diese Einheit beziehen (Ähnliches macht ein Künstler vor Publikum, ein Politiker auf der Rostra, ein Spitzensportler mit seinen Fans).Sie können allgemein verbindliche und positive "Future-Pacings" besser vermitteln, als wenn die Gruppe erst wieder in ihre Individuen "zerfleddert" ist. Das Wir-Gefühl ist ein wesentlicher, konstituierender Ausgangsfaktor für den Erhalt und die Entwicklung von Gruppen, denn dieses "Gruppengefühl" gründet in den Gefühlen von Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit. Unmittelbare Interaktion eines Mitgliedes mit jedem anderen, Vertrautheit und Intimität, gehören ebenso zu den Qualitäten der Gruppe wie die Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen und das Sichern der besten Ressourcen für die eigene. Gruppen-Strukturen und -EntwicklungenGenau untersucht wurden diese sozialpsychologischen Strukturen und einige erstaunliche Phänomene zum Altruismus einzelner Gruppenmitglieder in der Theorie der sozialen Identität von Tajfel und Turner (1986, The social identity theory of intergroup behavior), die Sie unbedingt lesen sollten!Sie definieren eine (soziale) Gruppe als eine Ansammlung von Individuen, die sich selber als Mitglieder derselben sozialen Kategorie wahrnehmen, die ein gewisses Maß an emotionaler Bindung an diese Kategorie aufweisen und die einen gewissen sozialen Konsens über die Beurteilung und ihre Mitgliedschaft in dieser Gruppe aufweisen. Das soziale Zusammenleben innerhalb der Gruppe ist geprägt durch dauerhafte soziale Beziehungen und Kontakte, durch Eigen- und Zusammenhandeln, durch Einheit sozial Handelnder mit gemeinsamen Werten und Interessen, durch Unmittelbarkeit von Beziehungen, durch wechselseitige Wahrnehmung der Beteiligten, durch Anwesenheit und direkte Interaktion, sowie durch aufeinander abgestimmte soziale Rollen. Hiermit sind einige grundlegende, gruppensoziologische Merkmalbestimmungen genannt, die die Basis für die sozialen Prozesse innerhalb einer Gruppe ergeben und die im speziellen Sinne dann Gruppenprozesse genannt werden können. In der Interaktion der Individuen ergeben sie die Gruppendynamik. Aufschlussreich sind bei der Untersuchung der Struktur zunächst die verschiedenen sozialen Rollen und Positionen (Status) in Hinblick auf die Verteilung von Macht, Kompetenz, Einfluss, Autorität oder anderer signifikanter Sozialressourcen. Wie auch der Blick auf Unterwerfung oder Anpassung als spezifische Verhaltensweisen, aus denen sich möglicherweise eine Hierarchie oder eine andere spezifische Struktur ergibt. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist das Innen-Außen-Verhältnis der Gruppe. Wie definiert sie sich nach innen als Gemeinschaft, z.B. über Inhalte, Gefühle, Rituale, Werte. Daraus folgt die Frage, wie sich die Gruppe überhaupt vom Umfeld, von anderen Gruppen (vgl. Fremdgruppe) oder der Gesellschaft, abgrenzt. Die mehr oder weniger klar definierte Art und Weise dieser Grenze stellt einen determinierenden Analysefaktor dar. In der Regel kristallisieren sich innerhalb kurzer Zeit in den Gruppen einzelne Positionen heraus, die von einzelnen Gruppenmitglieder eingenommen werden und unterschiedlich ausgefüllt werden (die soziale Rolle kann unterschiedlich gespielt werden), oder von den anderen Gruppenmitgliedern aber einem Individuum zugesprochen werden. Mit den meisten Rollen identifizieren sich einzelne Gruppenmitglieder bewusst oder unbewusst; zugesproche Rollen werden von jenen akzeptiert oder aber abgelehnt. Man kann sagen, dass die Rollenübernahme und -zuschreibung sozial ausgehandelt wird. Empirische Beispiele:• Ein Gruppenführer (instrumental leader) hat die Funktion, die Gruppe zusammenzuhalten, und bestimmt und koordiniert die Gruppenziele (Future-Pacing). Als Coach/ Lehrer sind das Sie.• In Gruppen, in denen es keinen offiziellen Gruppenleiter gibt, wetteifern meist der Beliebteste und der Normentreueste ("Tüchtigste") um diese Position (wenn Sie nicht dabei sind). • Wer beliebt ist (emotional leader), hat die Funktion, die Gruppe zusammenzuhalten; er wird von allen gemocht und verkörpert die emotionale Seite der Gruppenbedürfnisse. Da er die 'Strenge' der Gruppenmaßstäbe gerade nicht verkörpert, ist er als Gruppenführer meist erfolglos, oder er wird unbeliebter. • Wer tüchtig ist, verkörpert die normativen Ziele der Gruppe. Damit kann er der Beliebteste nicht sein: "Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die keiner kann." • Mitläufer orientieren sich am Gruppenleiter. • Der Opponent hat eine besondere Beziehung zum Gruppenführer und hat als starkes Mitglied ebenfalls Leitungsqualitäten, ist jedoch nicht zum Führer gemacht worden und macht diesem (unter)bewusst seine Position streitig. Der Opponent ist oft auch dafür verantwortlich, dass soziale Konflikte akut werden. Die dabei entstehenden Aggressionen richten sich nicht selten gegen schwächere Mitglieder. Im Kleinen spielt er die Rolle der "Gegenelite". • Sündenbock ist allgemein das schwächste Gruppenmitglied, und er wird verantwortlich gemacht, wenn die Gruppe ein Ziel nicht erreicht hat und die Nennung der genauen Ursache dessen einer sozialen Zensur unterliegt. • Der Außenseiter nimmt ggf. durchaus eine Position in der Gruppe ein, er kann eine Beraterfunktion übernehmen, aber auch der Gruppenkasper sein. Als Coach sollten Sie unbedingt vermeiden, zu Letzterem gemacht zu werden ;-) |